Martin Luther

Martin Luther:

Türkenpredigten und Tatarenangst

 

Großen Einfluss auf die Verbreitung der sogenannten  "Tatarenangst" hatten in der deutschen Geschichte die Flugschriften und gedruckten Gebete des 15. und 16. Jahrhunderts. Als `Bestseller` unter diesen Schriften können wohl diejenigen von Martin Luther gelten. In seinen Schriften wie "Vermahnung zum Gebet wider den Türcken", "Vom Kriege" oder der "Verlegung des Alcoran" entwirft Luther ein abgestuftes Bild von den `Mohamedanern` und dem Papsttum als Vertreter des Antichristen: „Der Papst ist der Geist des Antichristen, der Türke sein Fleisch. Beide helfen einander uns zu würgen; Letzterer mit Körper und Schwert, Ersterer mit Doktrin und Geist.“1. Gilt die hauptsächliche Aufmerksamkeit Luthers bei seinen Reden, Predigten und Schriften wider Papsttum und Islam den Türken (im Sinne von Osmanen), so sind doch auch immer wiederkehrend seine stereotypen Vorstellungen über Tataren präsent. Mehr noch, er scheint sich dessen bewusst gewesen zu sein, dass Tataren und Türken verwandte Völker seien, beide waren für ihn „flagella et virga Dei“ – Peitsche und Geißel Gottes. Auch eine Hierarchisierung dieser Beziehungen zwischen Tataren und Türken klingt an, wenn es bei Luther heißt: „Der Türke hat sein Herkommen aus den Tattern.“ oder die Tattern seien die Vetter der Türken. Und: „Die großen Tattern, wilde Leute, sind Niemand unterworfen, und ein eigen Volk: doch liegen sie stets in Haaren, und schlagen sich mit den Persen und Türken, wie die kleinen Tattern sich mit den Moscowitern und Polen schlagen“; eine schon beachtliche Differenzierung zwischen den Nachfolgern der Dschingisiden.

Leider wird dieser Umstand in der bisherigen Rezeptionsgeschichte der Lutherschen Schriften sehr vernachlässigt. Natürlich bildete der Islam der türkischen Osmanen das Hauptfeindbild für Luther. Die ebenfalls muslimische Bedrohung aus dem Osten, jenseits der Moskoviter, ist aber ein gleichfalls häufig wiederholter Topus in seinen Reden und Schriften. 

Teils verstärkte er mit dem Hinzusetzen einer tatarischen Komponente noch die Türkenfurcht, ein Hauptelement seiner Predigten.

„Die Tattern dachte sich Luther als ein wildes, noch ganz uncultiviertes Volk, welches das unbekannte Innere Asiens bewohne“. Die immense Verbreitung der Metapher von der Türkengefahr und der Tatarenangst mittels dieser Schriften traf im kollektiven Gedächtnis der Deutschen also auf die älteren Schichten von angstbesetzten Bildern der Tatareneinfälle um 1241. Scheinbar abhebend auf diese ersten Begegnungen mit den mongolisch-tatarischen Heeren, ohne Widerspruch und als Schreckensbild perpetuierend, verwendet Luther stereotype Negativdarstellungen immer wieder, wenn er schreibt: „Solt denn unser Herr Gott nicht zornig werden? Solt er denn nicht Pestilenz, Thewrezeit, Bapst, allenthalben die Christenheit zerstreuet ist leiblich, aber versammlet geistlich in einem Euangelio und Glauben unter ein Häupt, das Jesus Christus ist.“ Z.B.: „Man sagt, der Türke habe fürs künftige Jahr versprochen, Frieden zu halten: er droht aber, daß er mit großer Macht wieder nach Deutschland kommen, dann auch die Tartaren mit nicht geringerer Macht gegen uns heranführen werde.“ Diesen Gebrauch der schon seit dem 13. Jahrhundert vorhandenen Stereotypen nutzt er scheinbar auch, um seine Gegner zu diskreditieren und den Menschen, die er erreichen will, zu verdeutlichen, mit welch scheußlichem Feind man es bei den Türken (und dem Papsttum) zu tun hat. So schreibt er, die Tataren „sind ein wild räubisch Volk, daß nicht nach Häusern fraget, sondern wie das Viehe wohnen sie in Hütten, als unter Dächern und Scheunen, zu Raub und Krieg immer bereit. Sie achten die Ehe nicht, und ist ihrer Unzucht kein Ziel gesteckt, nehmen und lassen Weiber, wie sie wollen.“ und „es sind Kriegsleute, zu Rauben und Plündern geschickt“. Zur Verdeutlichung der Notwendigkeit von Bildung, Lesen, Schreiben und Gottesfurcht (im Sinne des Evangeliums) führt er an: „wo die Schrift und Kunst (Kenntniß der alten Sprachen) untergehet, was will da bleiben in deutschen Landen, denn ein wüster wilder Haufen Tattern und Türken, ja vielleicht ein Säustall und eine Rotte von eitel wilden Thieren“ Er wolle lieber geschehen lassen, dass „kein Bauer den Pfaffen, Mönchen und Geistlosen etwas gebe; ja viel lieber Türken und Tatern leiden, denn daß die Messe sollt bleiben“ und „Wo wir hie schweigen und schlafen, daß die Jugend so versäumet, und unsere Nachkommen Tattern oder wilde Thier werden, so wird es unsers Schweigens und Schnarchens Schuld seyn, und werden müssen schwere Rechenschaft dafür geben“.

Bei Belegstellen wie der letzteren, ist nicht sicher zu eruieren, wen Luther mit dem Ethnonym Tatter belegt. Tataren oder Zigeuner? Denn in vielen Fällen – nicht nur, aber eben auch bei Luther - wird Tattern absolut synonym für Tataren und Zigeuner verwendet. So hat Luther, wenn er von wüsten „hauffen Tattern und Türken“ schreibt oder gegen Landsknechte wettert: „ich zwar bin der landsknechte feind, wolt lieber unter den Türken oder Tatern oder Moscowiten wohnen“ sicher die tatarischen Nachbarn der Russen im Sinn. In anderen Fällen aber, wenn er ´des Deutschen unkundige` Gelehrte angreift: „Du bist ein Tatter oder Zigeuner“, auch wenn er mahnt: „wer falsch spricht, den wird man als Tater oder Zigeuner auslachen“ so benutzt er beide Ethnonyme als Synonyme.

Auch der Luther-Apologet Georg Bömiche, der in Brandenburg, Preußen und Pommern als Kirchenmann, Magister und Dramatiker tätig war, verfasste einen Türkenpamphlet im Geiste der Zeit, das 1595 in Magdeburg gedruckte Werk „Historia wie grewlich der große Mahomet Türckischer Keiser des Namens der ander die hochberühmbte Stad Constantinopel mit viermal Hundert tausend Mann belagert erobert geplündert und endlich in seine gewalt bracht hat: allen frommen Christen in diesen letzten gefürlichen zeiten zur sonderlichen Bußpredigt fürgestelt“.

 

 

Quelle:  Hotopp-Riecke,Mieste: Der Pascha von Magdebrg. Kleines Lesebuch. Magdeburg, ICATAT, 2012.