Ernst Reuter

 Ernst Rudolf Johannes Reuter (* 29. Juli 1889 in ApenradeProvinz Schleswig-Holstein; † 29. September 1953 in Berlin) war ein deutscher Politiker und Kommunalwissenschaftler. Bekannt wurde Reuter als gewählter Oberbürgermeister Berlins zur Zeit der Spaltung der Stadt im Jahr 1948.

 

Im Jahr 1918 war er als Kommunist für die Bolschewiki im sowjet-russischen Bürgerkrieg unterwegs als Volkskommissar, vor allem im Siedlungsgebiet der Wolgadeutschen und Tataren im Bereich der Wolga bei Saratow.

Als Hermann Beims, seit 1919 Oberbürgermeister von Magdeburg, Ende 1930 ankündigte, sich aus Altersgründen von seinem Amt zurückziehen zu wollen, konnte sich die Magdeburger SPD nicht auf einen Nachfolger aus den eigenen Reihen einigen und wandte sich darum an den SPD-Parteivorstand. Der Parteivorsitzende Otto Wels schlug Reuter vor. Am 29. April 1931 wählte die Magdeburger Stadtverordnetenversammlung Reuter mit 38 von 66 Stimmen für zwölf Jahre zum Oberbürgermeister.

Reuter konzentrierte seine Arbeit auf die Sanierung des Haushalts von Magdeburg, auf die Fortführung von Infrastrukturprogrammen, die konjunkturfördernde Impulse setzen sollten, auf die Förderung vonSelbsthilfeprojekten für Arbeitslose sowie auf die Winternothilfe in der Stadt. Personalkürzungen in der Kommunalverwaltung und im Stadtrat sowie Kürzungen bei der Erwerbslosenunterstützung verbesserten in der Folgezeit die Haushaltslage. Reuter setzte außerdem eine Erhöhung der Bürgersteuer durch.

 

Über Großbritannien in die Türkei

Im Januar 1935 ging Ernst Reuter nach England. Seine Familie blieb zunächst in Hannover. Reuter suchte nach Möglichkeiten, im britischen Exil eine Beschäftigung zu finden. Er wohnte in Essex bei Elizabeth Fox Howard, jener Quäkerin, die ihm bereits in Deutschland nach seiner ersten KZ-Haft als Leiterin des Falkensteiner Erholungsheims geholfen hatte und während seiner zweiten Haft ihre Beziehungen eingesetzt hatte, um ihn freizubekommen. Unterstützung fand Reuter auch durch Greta Burkill und ihren Ehemann, den Mathematiker John Charles Burkill. Die Burkills erklärten sich bereit, Gerd Harry, den jugendlichen ersten Sohn Reuters, in ihre Obhut zu nehmen. Reuters Suche nach einer Anstellung blieb erfolglos.

Anfang 1935 nahm er Kontakt zu Fritz Baade auf, dem die Regierung der Türkei angeboten hatte, als Experte für Agrarwirtschaft in ihren Dienst zu treten. Reuter korrespondierte ebenfalls mit Friedrich Dessauer, der bereits in die Türkei emigriert war, sowie mit dem in der Schweiz wirkenden Philipp Schwartz von der Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland. Auch wandte sich Reuter an Max von der Porten, der in der Türkei beim Aufbau der Industrie half. Von der Porten teilte Reuter Ende Februar 1935 mit, dass er sich Hoffnungen auf eine Anstellung durch die türkische Regierung machen könne. Seine Kenntnisse im Tarifwesen seien interessant. Baade, Dessauer und Schwartz unterstützten diese sich abzeichnenden Pläne. Mitte März 1935 war die Anstellung Reuters im türkischen Wirtschaftsministerium als Fachmann für Allgemeines Tarifwesen beschlossen. Ende Mai 1935 machte sich Reuter schließlich auf den Weg in die Türkei und erreichte am 4. Juni 1935 Ankara, seinen zukünftigen Wohnort. Edzard und Hanna Reuter kamen im September desselben Jahres nach. Gerd Harry wurde hingegen von den Burkills betreut. Reuters Tochter Hella, die überwiegend bei ihrer Mutter lebte, blieb in Berlin.

 

Im Dienst türkischer Ministerien

Bei Reuters Dienstantritt gab es im Ministerium keine Unterlagen über Verkehrstarife in der Türkei. Diese mussten erst mühsam herangeschafft werden. Weil der ihm zugeordnete türkische Verwaltungsbeamte nur Französisch und Türkisch sprach, erlernte Reuter die Landessprache.

Von 1935 bis 1939 arbeitete Reuter im Wirtschaftsministerium, 1939 dann im Verkehrsministerium. Zu seinen Aufgaben gehörten die Neuordnung der Tarife im Eisenbahnwesen sowie die Gestaltung der tariflichen Beziehungen zwischen der Eisenbahn und der Küstenschifffahrt. Insgesamt konnte Reuter seine Möglichkeiten nicht voll entfalten, denn er war nicht nur beratend tätig, sondern erledigte viele Sachbearbeitungsaufgaben eigenhändig – ihm fehlte ein Stab.

 

Kommunalwissenschaftler in Ankara

Ab 1938 ergänzte Reuter seine Tätigkeit im Ministerium durch eine Lehrtätigkeit an der in den 1930er Jahren reformierten Verwaltungshochschule von Ankara, an der er sich mit Stadtplanung und Städtebau befasste. Diese Dozententätigkeit nahm nach 1938 den größten Teil seiner Arbeitszeit in Anspruch. Ab 1940 war er ausschließlich an der Hochschule tätig, denn alle deutschen Sachverständigen waren aus den türkischen Ministerien entlassen worden. 1941 wurde er zum Professor für Kommunalwissenschaft ernannt. Ab 1944 wirkte Reuter zusätzlich als Berater für die Schifffahrts- und Hafenverwaltung Istanbuls.

Reuter veröffentlichte zwei türkische Fachbücher über Urbanistik beziehungsweise über kommunales Finanzwesen. Ein drittes langes Manuskript in türkischer Sprache über den öffentlichen Nahverkehr wurde während seines Exils nicht mehr publiziert. In vielen Zeitschriften des Landes veröffentlichte er darüber hinaus eine Vielzahl von Fachartikeln. Außerdem hielt er Reden und Vorträge, eine Reihe von Fachanalysen und -berichten kam hinzu.

In seiner akademischen Tätigkeit befasste Reuter sich inhaltlich vor allem mit Fragen der Urbanisierung, der Wohnungs- und Baugeländepolitik, der Stadtplanung, der Kommunalverwaltung und der kommunalen Finanzverwaltung. In allen Themengebieten glänzte Reuter nicht durch Originalität oder Theoriefreude, sondern zeigte einen ausgeprägten Pragmatismus. Im Wesentlichen vermittelte er in diesen Fragen westliche Ideen und eigene Erfahrungen, die er in der Kommunalpolitik und -verwaltung gemacht hatte.

Reuters pädagogischer Stil hatte wenig mit den akademischen Traditionen des Landes gemein. Er forderte seine Studenten auf, ihn zu unterbrechen, sollte sein Türkisch unklar sein oder wenn die von ihm verwendeten Urbanistik-Begriffe von ihm nicht korrekt in die Landessprache übertragen wurden. Zugleich regte er zu offenen Diskussionen, zu Widerspruch, zu eigenständigem Denken und zur Infragestellung althergebrachter Autoritäten an. Diese Form der Wissensvermittlung reflektierte Traditionen der westeuropäischen Aufklärung.

 

Integration in die Exilgemeinde

Reuters Freundeskreis in der Türkei, vor allem in Ankara, umfasste Personen, die vor 1933 kaum politisch in Erscheinung getreten waren. Mit dem Dirigenten Ernst Praetorius und dem Assyrologen Benno Landsberger spielte er regelmäßig Skat. Unter der Regie des Altphilologen Georg Rohde las und diskutierte er zusammen mit Anderen altgriechische Texte. Zu den Bekannten Reuters zählten ebenso der Regisseur Carl Ebert, der Dermatologe Alfred Marchionini, der Verwaltungsjurist und Arbeitsrechtler Oscar Weigert sowie der Architekt Bruno Taut und dessen Kollege Martin Wagner, mit dem Reuter 1929 eine USA-Reise unternommen hatte, um die Verhältnisse in amerikanischen Großstädten aus eigener Anschauung kennenzulernen.

Auch zu Deutschen, die in Istanbul lebten, unterhielt Reuter freundschaftliche Kontakte, so zum Beispiel zum Finanzwissenschaftler Fritz Neumark, zum sozialdemokratischen Wirtschafts- und Agrarfachmann Hans Wilbrandt sowie zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern Gerhard Kessler und Alexander Rüstow. Diese Kontakte zu Exilierten in Istanbul intensivierten sich nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

Zu Fritz Baade, der mit dafür gesorgt hatte, dass Reuter in die Türkei kam, verschlechterte sich das Verhältnis. Reuter missbilligte, dass Baade Kontakte zur deutschen Botschaft unterhielt und das nationalsozialistische Deutschland mehrfach besuchte. Baade begründete diese Kontakte mit seiner Arbeit als Landwirtschaftsberater der türkischen Regierung – nahezu die Hälfte der Exporte, also vor allem Agrarprodukte, ging nach Deutschland. Ferner führte Baade an, während seiner Deutschlandbesuche zu versuchen, Kontakte zum Widerstand herzustellen.

 

Während Gerd Harry Reuter in England blieb und sich der Mathematik zuwandte, kam Reuters Tochter Hella nach ihrem Abitur im Frühjahr 1939 nach Ankara. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte ihre Rückkehr nach Deutschland, sie blieb wie ihr Vater bis 1946 in der Türkei.

 

Quelle: Wikipedia