Von Magdeburg an den Bosporus: Mehmed Ali Pascha

Hier ist der Text aus der tatarisch-deutschen Zeitschrift "AlTaBash":

"Viele Jahre waren seit der Eroberung der Krim durch die zaristischen Truppen Katharina II. vergangen. Und doch lebten und hofften die Krimtataren, die noch nicht vertrieben waren und weiter unter russischer Herrschaft auf der Krim blieben, auf Linderung ihrer Leiden, auf Milderung der Repressionen. Ein Hoffnungsschimmer – auch wenn nur von kurzer Dauer stellte wohl der Krimkrieg bzw. Orientkrieg (Восточная война) von 1853 bis 1856 dar. Die Alliierten Frankreich, Großbritannien, das Osmanische Reich und später auch das Königreich Piemont-Sardinien kämpften mit Russland um die Vorherrschaft in Europa. Das Zarenreich, das mit der Besetzung des Krim-Khanats 1783 eine tatarische Migrationswelle ausgelöst hatte, sollte daran gehindert werden nun das ganze Schwarze Meer und den Bosporus unter seinen Einfluss zu bringen. Zu leiden hatten wie in jedem Krieg die Zivilisten: Auch der Krimkrieg trieb wieder tausende tatarische Familien über das Meer auf das kleinasiatische Festland oder über Jedisan und den Budschak in die Dobrudscha. So wie damals Tataren in der osmanischen und zaristischen Armee kämpften, waren auch Deutsche auf beiden Seiten der Fronten zu finden: Zur Verteidigung Sewastopols auf russischer Seite im Krimkrieg trug Eduard Todleben wesentlich bei. Hoch war auch der Anteil von Deutschen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Russlands und im diplomatischen Dienst, besonders unter Außenminister Graf Robert von Nesselrode (1814-1856). Im Jahre 1880 betrug der Anteil der Deutschen im diplomatischen Auswärtigen Dienst, überwiegend von Baltendeutschen 57 Prozent! Viele Deutsche befanden sich im Zentralapparat unter den Ministerialräten („starschij sowetnik“). Von 1835bis 1902 waren von 18 älteren Räten 11, von acht Direktoren der Kanzlei fünf Deutsche.

Doch auch auf Osmanischer Seite wurde deutsch gesprochen. Zwei hohe Armeeführer der Muslime waren gebürtige Westeuropäer: Der Oberkommandierende der osmanischen Donau-Armee Ömer Pascha stammte aus dem Habsburgischen und auch sein Ordonanzoffizier auf der Krim, Mehmed Ali Pascha war kein echter Osmane – er stammte aus Magdeburg.

Mehmed Ali Pascha, geb. am 18. November 1827 als Ludwig Carl Friedrich Détroit, war hugenottischer Abstammung und der Sohn des preußischen Hofmusikers Prof. Carl Friedrich Détroit und dessen Ehefrau Henriette Jeanette Séverin. Seine Großeltern waren Instrumentenbauer in Berlin. Seine Mutter verstarb früh und auch sein Vater folgte ihr völlig verarmt in die Ewigkeit, woraufhin Ludwig Carl und seine kleine Schwester Rosalie in ein Waisenhaus in Magdeburg gegeben wurden. Nach dem Besuch der Grundschule wechselte Ludwig Carl Friedrich Detroit auf das Domgymnasium Magdeburg. In der Tertia (vor der "mittleren Reife") brach er die Schule ab und wurde zur kaufmännischen Lehre bei Kaufmann Köpke gegeben. Doch die Aussicht auf eine Kariere hinterm Schreibtisch schien ihm nicht sehr verlockend gewesen zu sein: Mit knapp 16 Jahren verließ Ludwig Carl Détroit 1843 heimlich seine Heimatstadt, schlug sich bis zur Ostsee durch und heuerte auf einer mecklenburgischen Brigg als Schiffsjunge an.

Im Hafen von Konstantinopel soll er mit einem Sprung ins Wasser vom Schiff desertiert sein, wogegen andere Stimmen berichten er sei ins Wasser gefallen. Wie dem auch sei, zufällig wurde er durch Ali Efendi, den späteren Großwesir, gerettet, der auch bis zu seinem Tod 1871 sein Gönner blieb. Karl Detroit konvertierte zum Islam; ein Umstand, der beinahe zu einem Politikum geriet, da die preußische Gesandtschaft für den Deutschen Bund offiziell bei der osmanischen Regierung protestierte. Durch seinen Gönner wurde Mehmed Ali 1846 an einer Kadettenschule angenommen und konnte dort seine Ausbildung 1853 abschließen. Noch im selben Jahr wurde er im Rang eines "Seconde-Lieutenants" von der osmanischen Armee übernommen. Während des Krimkrieges fiel Mehmed Ali dem Oberkommandierenden der Donauarmee Omar (Ömer) Pascha auf.  Ömer Paşa hieß bei Geburt Michael Latas (* 24. November 1806, Plaški, Südungarn - † 18. April 1871, Konstantinopel) und war serbischer Herkunft. Sein Vater war k.u.k. Verwaltungsleutnant. Nach dessen Entlassung desertierte Michael 1828 zu den Osmanen.Mehmed Ali wurde zu seinem Ordonnanzoffizier ernannt. Bei Kriegsende hatte Mehmed Ali den Rang eines Majors inne. Im Stab von Ömer Pascha nahm Mehmed Ali an verschiedenen Kriegen teil: Montenegro (1861), Kreta (1867) u.v.m. 1865 avancierte er zum Brigadegeneral und wurde 1871, nach Ali Paschas Tod, ins Rhodopen-Gebirge versetzt, um Unruhen zu unterdrücken. Zwischen 1875 und 1876 war Mehmed Ali in Bosnien stationiert, war aber dort militärisch nicht sehr erfolgreich. Als Nachfolger von Abdul Kerim wurde Mehmed Ali am 18. Juli 1877 zum Muschir (Marschall) ernannt. Als solcher hatte er den Oberbefehl der osmanischen Armee in Bulgarien inne. Nach dem Fall von Plewen wurde Mehmed Ali mit Wirkung vom 9. Januar 1878 Oberbefehlshaber einer Heimatarmee, welche er zum Schutz Konstantinopels aufgestellt hatte. Am 3. März 1878 traf er mit dem Grosfürsten Nikolaus aus Russland zu Friedensverhandlungen in San Stefano zusammen, wo ihn dieser in Anspielung an seine alte Heimat auf französisch fragte: „Ich hoffe General, dass Sie das Deutsche noch nicht vergessen haben und dass man mit Ihnen in der Sprache Ihres Ex-Vaterlandes sprechen kann“. Ali Pascha bejahte dies und es folgte eine kurze Unterhaltung. Im Juni 1878 wurde er Mitglied der osmanischen Delegation, welche unter Leitung von Alexander Carathéodori am Berliner Kongress teilnahm. Die Hohe Pforte wählte ihn seiner Herkunft wegen aus, was aber in Berlin nicht gewürdigt wurde. Otto von Bismarck sprach von einer "Taktlosigkeit", und der gesamte deutsche Generalstab lehnte die Anwesenheit Mehmed Alis ab. Diesen Aufenthalt in Deutschland nutzte Mehmed Ali Pascha zu einem Besuch in seiner Geburtsstadt Magdeburg am 16. Julei.

Dort ließ er sich fotografieren, besuchte mit Kommerzienrat Gruson alte Plätze seiner Jugend und die Anlagen des Herrenkrug-Parkes.

Sofort im Anschluss an den Berliner Kongress wurde Mehmed Ali ins Grenzgebiet Montenegro - Albanien geschickt, um einen Aufstand niederzuschlagen. Er war schon recht in Ungnade gefallen, logierte aber

dennoch mit 45 Bediensteten in Konstantinopel. Im Alter von 50 Jahren wurde Mehmed Ali Pascha in Djakovica am 7. September 1878 von Aufständischen erschlagen. Er ließ seine türkische Frau und seine vier Töchter mittellos zurück. Die Umstände seines Todes wurden nie ganz aufgeklärt. Verrat, Neid und Argwohn gegen den ehemaligen Giaur (Ungläbigen) sollen die Ermordung ermöglicht haben. Einer der Urenkel von Mehmed Ali Pascha gelangte ein Jahrhundert später zu Berühmtheit in der Türkei und weltweit: Der türkische Nationaldichter Nazim Hikmet. Doch auch Mehmed Ali Pascha, zeitlebens Offizier, war den schönen Künsten zugeneigt. Den Berliner Kongress unterhielt er mit seinem selbst geschriebenen Gedicht „Die Rose von Jerichow“ und den Magdeburgern ließ er eine Übersetzung aus dem Osmanischen zurück:

 

Geliebte, wenn einst gebrochen mein Herz

Nicht mehr für dich kann schlagen

Und dunkle Zypressen epheuumrankt

Über meinem Grabe ragen,

So will ich liegen und warten, bis

Man auch Dich in die Erde wird legen,

Doch dann soll mein vermodert Gebein

Tief unten noch einmal sich regen.

Und so oft von Deinem Grabe der Wind

Wird ein wenig Erde mir bringen,

Soll von meines Herzens Asche herauf

Ganz leise ein Klagelied klingen.

 

 

 

 

 

Artikel von Dr. Mieste Hotopp-Riecke aus der Zeitschrift „Altabash – Die Zeitschrift von Tataren und ihren Freunden“ Berlin, Nr. 5/44, Mai 2008, S. 12-15. (Unter URL: http://issuu.com/mieste/docs/altabash_44)